© Jet.com

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Konkurrenz belebt das Geschäft. Deshalb spitzen viele die Ohren, wenn sich Unternehmensgründer aufmachen, einen Marktführer anzugreifen. Bei den Suchmaschinen sorgten beispielsweise Wolfram Alpha und Bing bei ihrem Start für Furore, hatten gegen Google aber nicht den Hauch einer Chance, wie die Marktanteile zeigen. Ähnlich übermächtig erscheint Amazon im Shopping-Bereich. Trotzdem versucht der enorm gehypte Anbieter Jet.com seit 21. Juli, dem Marktführer Paroli zu bieten.

Jet.com startet (vorerst nur in den USA) mit dem Anspruch, die niedrigsten Preise im Internet zu bieten, die teilweise sogar bis zu 15 % unter denen des Mitbewerbers aus Seattle liegen sollen. Wie das funktioniert? Das erklärt der Stand-up-Comedian Kumail Nanjiani in einem rund fünfminütigen und arg auf Lässigkeit getrimmten Video.

Hier die Kurzfassung: Jet.com ist ein Shopping-Club. Kunden zahlen 50 US$ für eine einjährige Mitgliedschaft, beim ersten Kauf gibt’s drei Monate gratis. Je mehr gekauft wird, desto größer ist die Ersparnis. Mit jedem Produkt, das im Warenkorb landet, werden weitere Ermäßigungen für andere Produkte freigeschaltet.

Zielpartner: Regionale Händler und kleine Unternehmen

Das Herzstück dieser Kombination aus Kundenklub und Bonussystem ist die Software von Jet, denn die rechnet den jeweils günstigsten der rund 1600 Partner oder anderer Lieferanten aus. Dabei hat das Start-up viele der 10 Mio. Produkte in seinem Angebot gar nicht auf Lager. In diesen Fällen bestellt es sie selbst bei Groß- oder Einzelhändlern und gibt sie dann an seine Mitglieder weiter. Jet selbst will nur an den Mitgliedsgebühren verdienen. Die Margen und zusätzliche Differenzen wie Großhändlerrabatte sollen an die Kunden weitergegeben werden, um die günstigen Preise zu finanzieren.

Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen und solche, die überwiegend lokal tätig sind, hört sich das zunächst verlockend an. Firmengründer Marc Lore sagte auf Wired auch, dass genau sie diejenigen sind, die Jet.com besonders stärken kann und will: Sie könnten die bestellten Produkte in ihrem Umfeld viel günstiger und schneller ausliefern als die großen Händler, die Paketdienste in Anspruch nehmen. Gelingt der Durchbruch, wäre für die Partnerunternehmen mit einer erheblichen Steigerung des Umsatzes zu rechnen. Und auch Jet.com selbst kann zum Kunden werden, beispielsweise dann, wenn ein bestelltes Produkt nicht im Lagerbestand ist und beschafft werden muss.

Mit Marc Lore ist zudem nicht irgendein Gründer an den Markt gegangen. Er hat seinen Geschäftssinn schon mit dem Erfolg des Online-Händlers Quidsi bewiesen. 2011 allerdings musste er kapitulieren – vor Amazon, das Quidsi für 545 Mio. US$ aufkaufte. „Spielgeld“ ist ohnehin genug da: Investoren wie Alibaba und neuerdings auch Google Ventures steckten bereits rund 200 Mio. Euro in Jet.com.

Die Risiken: Kritisches Geschäftsmodell und fliehende Marken

Die Begeisterung ist bei vielen aber schon nach den ersten Wochen abgeklungen, um es diplomatisch auszudrücken. Zum einen häufen sich die Stimmen, die das Geschäftsmodell als hochgradig riskant ansehen. Jet.com muss rasend schnell wachsen, um die hohen Kosten über die Mitgliedsbeiträge einfangen zu können – wenn das überhaupt möglich ist. Die Harvard Business Review jedenfalls riet ihren Lesern, die drei kostenlosen Testmonate zu nutzen, um von den Rabatten zu profitieren, solange es sie noch gibt. Das Pricing-Modell dieses „Experiments“ jedenfalls mache „nicht genug Sinn“.

Weiteres Ungemach kam von einer Vielzahl großer Marken und Händler wie L’Oréal und Wal-Mart. Sie störten sich dem Wall Street Journal zufolge an der Praxis, wie Jet.com mit Affiliate-Vergütungen umging – und verboten daraufhin die Nutzung von Marke und Logo. Das Unternehmen hatte Links zu ihren Seiten gesetzt und den eigenen Mitgliedern Gutschriften versprochen, wenn sie darauf klicken. Der Zeitung zufolge sollen mehr als 100 Marken von rund 70 unterschiedlichen Firmen aus dem Angebot entfernt worden sein.

Fazit: Angeschnallt bleiben, bis Jet.com Flughöhe erreicht

Ob das unter „Startschwierigkeiten“ zu verbuchen ist oder grundlegende Probleme des Geschäftsmodells offenbart, bleibt abzuwarten. Im Gegensatz zu vielen anderen Konkurrenten, die als Tiger gestartet und als Bettvorleger geendet sind, verfügt Jet.com über ein großes finanzielles Polster und über viel Erfahrung. In den kommenden Monaten wird es darauf ankommen, ob Lore die richtigen Stellschrauben findet, um Jet.com zum Abheben zu bringen. Für deutsche Händler wird es spannend sein, zu sehen, ob das Geschäftsmodell funktioniert. Denn dann wird es sicherlich nicht lange dauern, bis es den Weg über den großen Teich findet.

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